Die Vision einer nationalen Streaming-Plattform
Die Idee entsteht im Frühling 2018. «Ich war überzeugt, dass die Schweiz eine Plattform braucht, die einheimische Serien, Filme und Dokumentationen aus allen Landesteilen an einem Ort vereint», sagt Gilles Marchand, Generaldirektor der SRG. Er skizziert seine Gedanken auf einer A4-Seite und schickt sie Bakel Walden, dem Leiter der Direktion Entwicklung und Angebot. «Wichtig scheint mir ein intuitiver und personalisierter Zugang zum Programm der SRG», präzisiert Gilles Marchand. Die Geschäftsleitung SRG beschliesst den Aufbau einer solchen Plattform und beauftragt die Direktion Entwicklung und Angebot und das Digital Board SRG mit der Umsetzung.
Ein agiles Projektteam übernimmt das Steuer
Eine Arbeitsgruppe um Eliane Noverraz, Co-Bereichsleiterin für Innovationsthemen bei der Direktion Entwicklung und Angebot, erarbeitet im Sommer 2018 «Use cases» sowie eine Inhaltsstrategie; im Oktober gibt das Digital Board SRG grünes Licht. Anfang 2019 übernimmt Pierre-Adrian Irlé die operative Leitung des Projekts. Als Film- und Fernsehproduzent, Regisseur und Unternehmensberater weiss er, worauf es ankommt: «Es braucht eine Plattform, die zum Entdecken einlädt, einfach nutzbar ist, Inhalte thematisch gliedert und eine hohe Auffindbarkeit dieser Inhalte bietet.» Mit seinem Content-Team auf der einen und seinem Product-Team auf der anderen Seite macht er sich an die Entwicklung der Plattform. «Unser Play-Suisse-Team ist organisiert wie ein autonomes, agiles Start-up-Unternehmen innerhalb der SRG», sagt Pierre-Adrian Irlé. Agil heisst: Das Produkt wird iterativ und unter Anwendung der Design-Thinking-Methode entwickelt. «Innovative Methoden wie Design Thinking helfen uns dabei, konsequent die Bedürfnisse der Nutzerinnen und Nutzer ins Zentrum unserer Überlegungen zu stellen», so Eliane Noverraz.
Anfangen bei null: Aufbau der Plattform
In einem ersten Schritt geht es darum, die Bedürfnisse der Nutzerinnen und Nutzer zu evaluieren. Dafür befragt das Product-Team von Michaël De Lucia Personen, die bereits andere Streaming-Plattformen nutzen. «Wir wollten besser verstehen, welche unausgesprochenen Erwartungen sie haben, was sie bei bestehenden Diensten frustriert und wie sie neue Inhalte entdecken», so Michaël De Lucia. Auf der Grundlage der Nutzertypen erstellt das UX-Designerteam zusammen mit Mitgliedern der Content-, Product- und Marketing-Teams erste Prototypen in unterschiedlichen Varianten und gibt sie den Nutzerinnen und Nutzern zum Testen.
Rechteverhandlungen mit der Filmbranche
Die SRG und die Schweizer Filmbranche unterzeichnen an den Solothurner Filmtagen den Pacte de l’audiovisuel 2020–2023. Dieser hält fest, dass die SRG zusätzliche Onlinerechte erwerben kann – ein wichtiger Schritt im Hinblick auf die geplante Streaming-Plattform, die den zahlreichen Schweizer Koproduktionen ein nationales Schaufenster bietet. «Die Branche hat den Aufbau von Play Suisse intensiv und konstruktiv mitverfolgt», sagt Bakel Walden, der für die SRG die Pacte-Verhandlungsgruppe leitete. «Mit dem Pacte de l’audiovisuel 2020–2023 haben wir einen gemeinsamen Schritt in Richtung der neuen Nutzungsrealität gemacht.»
Untertitel in drei bis vier Sprachen
Annette Mugglin ist eine der 42 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der SRG, die während des Lockdowns auf freiwilliger Basis die Untertitel der zahlreichen Filme, Serien und Dokumentationen redigieren. Sie spult das Video zurück und hört sich den Off-Kommentar auf Französisch noch einmal an. Mit flinken Fingern korrigiert sie den Text und scrollt zum nächsten Untertitel. «Wir waren sehr froh um den temporären Zusatzsupport dieser Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter», sagt Benoît Rebetez, Projektleiter Untertitelung bei SWISS TXT. Das zu bewältigende Volumen ist enorm: Für 1000 Videos auf der Plattform – das erklärte Ziel bis Ende Jahr – werden mindestens 3000 Untertitel-Dateien benötigt. Um eine gute Untertitelqualität zu gewährleisten, entwickeln Benoît Rebetez und sein Team von Freelancern einen mehrstufigen Prozess: Sind die Untertitel in Originalsprache vorhanden, werden sie maschinell übersetzt und dann von einer professionellen Übersetzerin oder einem professionellen Übersetzer überarbeitet. Es erfolgt die Revision durch eine weitere Person. Der Aufwand für die Übersetzung und Kontrolle eines 50-minütiges Video beträgt insgesamt 400 bis 550 Minuten. «Die Untertitelung war eines der herausforderndsten Teilprojekte, aber auch eines der wichtigsten, denn unsere Streaming-Plattform lebt von der Mehrsprachigkeit», sagt Jessica Morley, Co-Bereichsleiterin für Innovationsthemen bei der Direktion Entwicklung und Angebot.
Die Plattform bekommt einen Namen
Es liegen verschiedene Vorschläge auf dem Tisch, die Entscheidung fällt nicht leicht. Doch am Ende steht fest: Die Streaming-Plattform heisst Play Suisse. Zur gleichen Zeit läuft die Branding-Konzeption auf Hochtouren. Drei Monate später ist es so weit: Am Zurich Film Festival wird das Markenkonzept erstmals der Öffentlichkeit präsentiert. Der Name ist Programm: Der Pfeil links symbolisiert einen abstrahierten Playknopf und schafft den Bezug zu Film und Streaming. Das Kreuz steht für die Schweiz. Zusammen bilden die beiden Icons den Begriff Play Suisse in Zeichenform. «Das Branding ist reduziert, aber wirkungsvoll», sagt Alex Hefter, der als Creative Director sowie Leiter Gestaltung und Marketing SRF mit seinem Team die Marken- und Brandingentwicklung von Play Suisse verantwortete.
Login-Entwicklung aus dem Homeoffice
Filme vorgeschlagen bekommen, die mich interessieren. Zu Hause auf dem Smart TV mit der Krimiserie «Wilder» beginnen und sie unterwegs auf dem Smartphone zu Ende schauen. Eine praktische Sache. Doch dafür braucht es ein Login – am besten ein Login, das künftig für alle SRG-Produkte eingesetzt werden kann. Es ist Mitte Juli, die Zeit wird knapp. Projektleiter Martin Spycher sitzt zu Hause im Berner Oberland an seinem Schreibtisch und bespricht den engen Zeitplan für die Entwicklung des Logins mit seiner Projektgruppe und den Entwicklern. «Unser Lieferant sass in Zürich, unsere Designerin in Lugano, die UX-Kollegen in Genf und Zürich, die Betriebsverantwortlichen in Biel und unsere Juristin in Basel, und alle arbeiteten im Homeoffice. Persönliche Sitzungen gab es seit März keine mehr», erinnert sich Martin Spycher. «Viele Projektbeteiligte kannten sich vorher nicht. Aber alle wussten, dass da einiges auf uns zukommt.» Es wird eine Achterbahnfahrt mit Höhen und Tiefen. Von der Spezifikation über die Ausschreibung bis zum Launch dauert es zehn Monate. Die Rechnung geht auf. Zwei Monate nach Launch zählt Play Suisse bereits 130'000 registrierte Personen.
Der erste grosse Stresstest
Nach der ersten internen Testphase melden sich zwischen August und Oktober rund 800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als Beta-Nutzerinnen und -Nutzer auf der Streaming-Plattform an, um die Benutzerfreundlichkeit und die Stabilität des Produkts zu testen. Ob irreführende Symbole, fehlende Untertitel oder unklare Nutzerführung – alles wird notiert und zurückgemeldet. «Wir haben jedes Feedback sorgfältig geprüft und innerhalb des Projektteams diskutiert», sagt Pierre-Adrian Irlé. «So haben wir beispielsweise erfahren, dass die User auf der mehrsprachigen Plattform oft nicht erkannten, in welcher Sprache das Video verfügbar ist. Das haben wir verbessert.»
Perlen aus allen vier Sprachregionen
Um die 1000 Titel aus allen vier Sprachregionen soll Play Suisse bis Ende Jahr zählen. Aktuell sind es 600 – es gibt noch viel zu tun. Fest steht, dass die historische Serie «Frieden» von Petra Volpe den Auftakt machen wird. Hansruedi Schoch, Leiter des Content-Teams: «Play Suisse mit einer so gut gemachten Serie launchen zu können, ist natürlich ein Glücksfall. ‹Frieden› thematisiert eine Zeit voller Unsicherheiten und moralischer Konflikte und ist in diesem Sinne brandaktuell.» Das Content-Team besteht aus zwölf Programmexpertinnen und -experten aus allen Sprachregionen. Sie sind für den Inhaltskatalog auf Play Suisse verantwortlich. Ihre Mission: Ein vielfältiges Angebot in Form von Kollektionen, Themenschwerpunkten und Neuheiten zusammenstellen. Welche Serien passen in die Kollektion «Krimi»? Welche Spielfilme werden prominent platziert? «Bei der Zusammenstellung des Katalogs achten wir auf Aspekte wie Genre, Library Value – also wie lange ein Inhalt relevant bleibt – sowie Video-on-Demand-Rechte, die wir erwerben können», erklärt Content-Manager Gregory Catella und Teamkollegin Arianne Gambino ergänzt: «Unsere Aufgabe ist sozusagen die Gestaltung des Schaufensters.»
Launch
Am 7. November um 9 Uhr geht Play Suisse online. Den Auftakt macht die SRF-Serie «Frieden» – mit Erfolg, wie die Nutzungszahlen belegen. Doch das ist nicht alles. Im permanent wachsenden Play-Suisse-Katalog können Nutzerinnen und Nutzer Serienhighlights wie «Wilder» oder «Quartier des banques», preisgekrönte Dokumentarfilme wie «43, il ponte spezzato» und Spielfilme wie die rätoromanische Liebeskomödie «Amur senza fin» entdecken. Das Angebot wird ständig erweitert, wöchentlich kommen im Schnitt 20 neue Titel dazu. Gilles Marchand: «Wir werden Play Suisse als neue digitale Idée suisse Schritt für Schritt weiterentwickeln, damit die Nutzerinnen und Nutzer das vielfältige Schweizer Serien- und Filmangebot immer wieder neu entdecken können.»
- bietet Serien, Spielfilme, und Dokumentationen in Originalsprache und mit Untertiteln in den jeweils anderen Landessprachen,
- vereint eine Auswahl an Inhalten aus allen vier Sprachregionen auf einer Plattform,
- ist als Webapplikation oder App auf dem Smartphone, Tablet, Desktop (playsuisse.ch) sowie Blue TV, Chromecast, Apple TV und Android TV verfügbar.