Wie ein Gebärdensprach-Avatar Barrieren abbauen soll
RTS und SWISS TXT entwickeln einen Gebärdensprach-Avatar. Dieser soll Gehörlosen künftig den Zugang zu Wetterberichten erleichtern und langfristig die Barrierefreiheit im Angebot der SRG erhöhen.
Zwei mögliche Prototypen eines Gebärdensprach-Avatars – einmal animiert und einmal fotorealistisch (Video: Sign Time GmbH)
In der Schweiz leben über 20'000 gehörlose Menschen. Sie sind auf Gebärdensprachübersetzung angewiesen, um audiovisuelle Inhalte in ihrer Muttersprache konsumieren und vollständig verstehen zu können. Trotz zunehmender Anstrengungen bleibt für diese Zuschauer:innengruppe ein grosser Teil des Inhalts nur beschränkt zugänglich – eine Lücke, die SWISS TXT sukzessive schliessen will. «Unser Ziel ist es, die Arbeit unserer Gebärdensprachübersetzer:innen mit einem Avatar zu ergänzen, sodass wir irgendwann 100 Prozent Barrierefreiheit erreichen», erklärt Natacha Meier, Leiterin Service- und Produktmanagement Gebärdensprache bei SWISS TXT. In einem Pilotprojekt arbeitet SWISS TXT an der Entwicklung eines KI-gestützten Gebärdensprach-Avatars, der in einer ersten Phase in der Wetterberichterstattung von RTS eingesetzt wird und sich nach den KI-Prinzipien der SRG richtet.

Natacha Meier
Leiterin Service- und Produktmanagement Gebärdensprache bei SWISS TXT
(Bild: SRF/Gian Vaitl)
Technologische Hürden bei der Entwicklung des Avatars
Ein ambitioniertes Unterfangen, denn die Entwicklung eines Gebärdensprach-Avatars bringt zahlreiche technologische Herausforderungen mit sich. «Es gibt kein standardisiertes Textformat für Gebärdensprache», erklärt Meier. Anders als bei schriftbasierten Sprachen, die reichlich vorhandenes Datenmaterial bieten, fehlen solche Datenbanken bislang für Gebärdensprachen. Das liegt unter anderem daran, dass Gebärdensprache mehrdimensional ist: Neben Handbewegungen sind auch Mimik und Gesichtsausdrücke für die Aussage relevant. Ein Avatar muss also in der Lage sein, nicht nur Bewegungen, sondern auch feine emotionale Nuancen darzustellen.
Um diese Anforderungen zu erfüllen, bauen die beteiligten Mitarbeiter:innen von SWISS TXT eine Gebärdensprachdatenbank auf. In enger Zusammenarbeit mit Forschungsinstituten zeichnen sie Sätze auf, die für die Wetterberichterstattung relevant sind. «Wir nehmen die Gebärden mit gehörlosen Menschen auf, damit eine authentische Grundlage entsteht, die der Avatar nutzen kann», erklärt Rahel Luder, Innovationsverantwortliche bei SWISS TXT. Diese Daten fliessen dann in die technische Entwicklung ein, wobei typische Redewendungen und Satzbausteine zerlegt und analysiert werden, um die Basis für die automatisierte Übersetzung der Wetterberichterstattung zu schaffen.

Rahel Luder
Innovationsverantwortliche bei SWISS TXT
(Bild: SWISS TXT)
Akzeptanz und Resonanz aus der Gehörlosengemeinschaft
Während viele Mitglieder der Gehörlosengemeinschaft den Avatar als wertvollen Schritt in Richtung mehr Barrierefreiheit sehen, gibt es auch kritische Stimmen. «Einige Community-Mitglieder äusserten Bedenken, dass der Avatar zu statisch wirken könnte und komplexe Mimik oder Emotionen nicht vollständig wiedergibt», berichtet Natacha Meier. SWISS TXT setzt daher auf einen engen Austausch mit der Gehörlosengemeinschaft, um solche Bedenken zu adressieren. Verbände und Vertreter:innen der Community geben Feedback, das direkt in die technische Weiterentwicklung einfliesst. Meier betont: «Nur so können wir sicherstellen, dass der Avatar den Bedürfnissen der Nutzer:innen entspricht.»
Der Avatar wird dabei als Ergänzung für menschliche Gebärdensprachübersetzer:innen konzipiert. «Unser Ziel ist es nicht, Menschen zu ersetzen», stellt Meier klar. Stattdessen soll der Avatar in Formaten wie Wettervorhersagen oder Verkehrsmeldungen eingesetzt werden, die repetitive und klar strukturierte Informationen enthalten. Bei komplexeren Sendungen oder Liveübertragungen bleiben menschliche Gebärdensprachübersetzer:innen hingegen unersetzlich. «KI ist der Schlüssel, um Barrieren zu überwinden, auch in der Gebärdensprache. Die Technologie entwickelt sich rasant, doch es gibt weiterhin Herausforderungen und Hürden. Das Wichtigste ist, dass deutlich erkennbar bleibt, wann es sich um eine KI handelt, und dass die hohe Sprachqualität erhalten bleibt», erklärt Barbara Rossier, Fachspezialistin Gebärdensprache bei SWISS TXT.

Barbara Rossier
Fachspezialistin Gebärdensprache bei SWISS TXT
(Bild: SRF/Oscar Alessio)
Innovationsfonds spielt wichtige Rolle bei Finanzierung
Die Finanzierung dieses Projekts erfolgt durch den SRG-Innovationsfonds. Ziel des Fonds ist es, Pionierprojekte zu fördern. «Ohne diesen Fonds wäre die Umsetzung kaum möglich gewesen», erklärt Rahel Luder. Das ist wenig überraschend, denn die Entwicklung des Avatars verlangt das übergreifende Know-how von Gebärdensprachübersetzer:innen und Techniker:innen sowie die enge Zusammenarbeit mit Forschungsinstituten und IT-Expert:innen. «Die langfristige Perspektive ist für ein solches Projekt entscheidend», betont Luder. «Unsere Hoffnung ist, dass der Avatar nicht nur in TV-Sendungen, sondern überall dort zur Anwendung kommt, wo schnelle, barrierefreie Informationen gefragt sind», ergänzt Meier.
Die Entwicklung des Avatars bedeutet für SWISS TXT einen wichtigen Schritt in Richtung umfassende Inklusion und besserer Zugang zu Informationen. «Mit dem Avatar schaffen wir eine Grundlage für mehr Barrierefreiheit und bieten eine Lösung, die sich langfristig in der Medienlandschaft etablieren könnte», erklärt Meier abschliessend.