Frauen in der Bericht­erstattung besser sichtbar machen

Die Unternehmenseinheiten der SRG haben sich zum Ziel gesetzt, in ihrem Programm Frauen und Männer ausgewogen abzubilden. Welche Erfahrungen haben sie mit dem Projekt 50:50 gemacht? Eine Bestandesaufnahme.

RSI: Den Frauenanteil langfristig erhöhen

Die Gleichstellung der Geschlechter ist ein Ziel, das RSI seit langem verfolgt und überwacht. Unter anderem beauftragt RSI die Fachhochschule der italienischen Schweiz (SUPSI) regelmässig mit einer Studie, um das Verhältnis von Frauen und Männern im Programm zu ermitteln. Dabei wird das Geschlechterverhältnis aller Personen ausgewertet, die im Radio oder Fernsehen zu Wort kommen – seien es die eingeladenen Expert:innen, Interviewpartner:innen oder Modera­tor:innen. «Chance 50:50 ist ein strategisches Projekt der Direktion, bei dem uns die Abteilung Human Resources massgeblich unterstützt. Human Resources hat sowohl bei der Aus- und Weiterbildung als auch bei der Rekrutierung neuer Mitarbeiter:innen gezielte Massnahmen zur Stärkung der Inklusion eingeführt», erklärt Doris Longoni, Leiterin Kommunikation RSI und Mitglied des Diversity Board SRG. Und ergänzt: «Wir sind zunehmend bestrebt, unser Publikum sowohl im Programmangebot als auch in der Zusammensetzung unserer Mitarbeiter:innen der gesellschaftlichen Realität gemäss widerzuspiegeln.»

SRF-Sendung «Club»: Unsere Bundesrätinnen. Alle amtierenden Bundesrätinnen sind im August 2021 zu Gast bei Barbara Lüthi.

RTR: Diversität hört nicht beim Geschlecht auf

RTR misst seit Februar 2021 die Anzahl Frauen und Männer, die in den Beiträgen zu Wort kommen. «Wie der Name des Projekts sagt, ist unser Ziel ein Verhältnis von 50:50. Denn wir wollen in unserem Programm die Gesellschaft realitätsgetreu abbilden», sagt Andrina Caprez, Verantwortliche Direktionsstab RTR und Fachspezialistin Diversity & Inklusion RTR. Dabei sei sich RTR bewusst, dass Diversität nicht beim Geschlecht aufhöre: «Es gibt viele weitere Kriterien wie zum Beispiel Alter oder Idiom, die wir noch nicht messen», so Andrina Caprez weiter. Die Teilnahme am Projekt ist für alle Redaktionen obligatorisch. Die Redaktionen hätten die Erfahrung gemacht, dass sich bei genauem Hinschauen in allen Bereichen Frauen finden liessen, auch in den männlich dominierten. «Bei den Frauen braucht es aber oftmals mehr Überzeugungsarbeit, damit sie sich vor dem Mikrofon äussern. Gerade bei tagesaktuellen Themen ist das Dilemma zwischen schnell sein und Diversität abbilden gross.»

RTS: Geschlechterverhältnis mithilfe von Speech-to-Text messen

Die Abteilung «Actualité et Sports» von RTS hat 2019 ein Beobachtungsgremium für Gleichstellung geschaffen mit dem Ziel, die Anzahl der weiblichen Gäste und Expertinnen in den Nachrichten- und Sportsendungen zu erhöhen. Die Zahlen werden monatlich von den Chefredaktor:innen überprüft. «Derzeit liegen wir bei einem Frauenanteil von ungefähr 40 Prozent. Wir haben unser Ziel zwar noch nicht erreicht, doch das Wichtigste ist, dass wir uns verbessern», sagt Béatrice Jéquier, stellvertretende Leiterin der Abteilung «Actualité et Sports» und Mitglied des Diversity Board SRG. 2022 wird das 50:50-Projekt nun ausgeweitet: Eine Speech-to-Text-Technologie – entwickelt von «Données et Archives» bei RTS – ermöglicht es künftig, die Sprechzeit von Frauen und Männern, einschliesslich Moderator:innen, in allen Radio- und TV-Sendungen automatisch zu messen und zu vergleichen. Béatrice Jéquier: «Die Akzeptanz des Projekts 50:50 hat in den Redaktionen laufend zugenommen. Aus meiner Sicht ist es entscheidend, dass wir das Projekt als Chance zur Verbesserung der Diversität wahrnehmen und nicht als Einschränkung.»

«Aus meiner Sicht ist es entscheidend, dass wir das Projekt als Chance zur Verbesserung der Diversität wahrnehmen und nicht als Einschränkung.»

Béatrice Jéquier
Stellvertretende Leiterin der Abteilung «Actualité et Sports» RTS

SRF: Zeitdruck als Herausforderung

Seit 2019 beteiligen sich bei SRF rund 35 Teams der Chefredaktionen Video und Audio am Projekt «Chance 50:50» – alle freiwillig. Gezählt werden Interviewpartner:innen und Korrespondent:innen, also Personen, die Einschätzungen abgeben. «Unsere Journalist:innen sind motiviert und tragen die Idee mit. Die Umsetzung ist aber schwieriger als erwartet. Ein grosses Problem ist der Zeitdruck, insbesondere bei der Newsberichterstattung. Dort ist schon eine Frauenquote von 45 Prozent ein Erfolg, denn Parteien, Unternehmen oder Verbände werden nach wie vor mehrheitlich von Männern geführt», sagt Regula Messerli, Redaktionsleiterin «Tagesschau». Die Redaktionen von SRF bauen gemeinsam eine Expertinnendatenbank auf. Sie enthält mittlerweile 3400 Namen und soll die Suche im journalistischen Alltag erleichtern. «Chance 50:50 steht für den Kulturwandel, der im Gang ist. Und ein Kulturwandel braucht Zeit. Gefragt sind Durchhalte­vermögen und Motivation. Denn wir können nur gewinnen: Es geht um das angemessene Abbilden der Gesellschaft in unserem Angebot und letztlich um journalistische Qualität», so Regula Messerli.

«Mit dem Projekt Chance 50:50 können wir nur gewinnen: Es geht um das angemessene Abbilden der Gesellschaft in unserem Angebot und letztlich um journalistische Qualität.»

Regula Messerli
Redaktionsleiterin «Tagesschau» SRF

SWI: Neue Wege bei der Suche von Expertinnen

Bei SWI swissinfo.ch ist die Initiative 50:50 noch jung, sie startete offiziell im Jahr 2021. Zurzeit beteiligen sich vier Sprachredaktionen und die Multimedia-Abteilung am Projekt. Dabei achten die Journalist:innen nicht nur in Texten und Videos auf ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis, sondern auch bei der Bildwahl. «Die ersten Erfahrungen mit dem Projekt sind positiv», erklärt Jo Fahy, Leiterin Distribution und Formate bei SWI und Mitglied des Diversity Board SRG. «Die Kolleg:innen unterstützen die Initiative und machen trotz Zeitdruck gerne mit.» Jedoch gestalte sich die Suche nach Gesprächspartnerinnen schwierig und es brauche neue Lösungen. Manchmal komme man zum Beispiel nicht darum herum, einen Experten anzurufen und höflich zu fragen, ob nicht eine Kollegin im Unternehmen Auskunft geben könne. Jo Fahy ist überzeugt: «Die Idee ist einfach, die Wirkung des Projekts aber gross.»