Diversität und Inklusion
Was sind unbewusste Vorurteile und wie können Mitarbeiter:innen mit ihnen umgehen? Diese Fragen diskutierte der Bereich Diversität und Inklusion 2023 im Rahmen von Workshops zum Thema «Unconscious Bias». Auch die regionalen Fachstellen für Diversität und Inklusion setzten im vergangenen Jahr Akzente – sei dies bei der internen Rekrutierung von Führungspersonen, der Work-Life-Balance oder bei der Themenwahl im Programmangebot.
«Unsere unbewussten Vorurteile beeinflussen die Unternehmenskultur und die Diversität am Arbeitsplatz»
Andrea Baudacci
Fachspezialistin Diversity & Inklusion bei der Generaldirektion (Bild: SRG)
Über 90 Prozent unserer Wahrnehmungs- und Entscheidungsprozesse finden unbewusst statt. Bei manchen Entscheidungen ist das hilfreich, bei anderen hingegen führt dieser Automatismus zu unbewussten Vorurteilen. Man nennt dies «Unconscious Bias». 2023 hat sich die SRG eingehend mit diesem Thema befasst.
Andrea, was haben unbewusste Vorurteile mit Diversität und Inklusion zu tun?
Wenn wir Entscheidungen treffen, greifen wir oft auf unbewusste, tief verankerte Denkmuster – sogenannte Unconscious Biases – zurück. Dadurch sind wir zwar effizient, aber nicht immer objektiv. Auch wenn wir uns vornehmen, alle Mitarbeiter:innen fair zu behandeln, kommt es vor, dass wir Kolleg:innen, die uns ähnlich sind – sei es, weil sie das gleiche Geschlecht haben, etwa gleich alt sind oder denselben Sportclub anfeuern – bevorzugt behandeln und andere benachteiligen. Es handelt sich bei diesem Beispiel um den Ähnlichkeitsbias. Diese unbewussten Vorurteile beeinflussen die Unternehmenskultur und die Diversität am Arbeitsplatz.
Warum ist das Thema Unconscious Bias für ein Unternehmen wie die SRG relevant?
Wir sind überzeugt, dass wir als Service-public-Unternehmen den diversen Bedürfnissen unseres Publikums nur gerecht werden können, wenn wir Diversität auch intern leben. Zudem haben wir 2022 eine Mitarbeiter:innen-Befragung zum Thema Diversität und Inklusion durchgeführt und festgestellt, dass es auch bei uns Mitarbeiter:innen gibt, die sich aufgrund ihres Alters oder Geschlechts am Arbeitsplatz benachteiligt fühlen. Das nehmen wir sehr ernst. Wir wollen implizite Normen und unbewusste Rollenerwartungen aufdecken und proaktiv ansprechen.
Wie habt ihr dieses Thema den Mitarbeiter:innen nähergebracht?
Wir haben letztes Jahr in Zusammenarbeit mit einer externen Expertin massgeschneiderte Workshops für HR-Berater:innen und Führungspersonen sowie Webinare für Mitarbeiter:innen der Generaldirektion durchgeführt. Auch SRF, SWI swissinfo.ch und SWISS TXT haben in ihren Webinaren und Workshops aufgezeigt, was unbewusste Vorurteile sind, wie sie wirken und wie man sie im Arbeitsalltag entdeckt und mit ihnen umgehen kann. Bei RTR fanden diese Schulungen bereits 2022 statt, bei RSI und RTS stehen sie 2024 auf der Agenda.
Was haben die Mitarbeiter:innen an den Schulungen über unbewusste Vorurteile gelernt?
Selbst Workshop-Teilnehmer:innen, die sich als unvoreingenommen und fair einschätzen, stellten fest, dass ihre Entscheidungen nicht frei von unbewussten Vorurteilen sind. Die Überzeugung, man erliege solchen Urteilsfehlern weniger oft als andere Personen, nennt man übrigens «Blind Spot Bias». Die Teilnehmer:innen haben erkannt, dass es sich lohnt, die eigenen Gedanken und Entscheidungen kritisch zu hinterfragen. Auch bin ich zuversichtlich, dass sie nun wissen, wie sie zu einem inklusiveren Arbeitsumfeld beitragen können: erstens, indem sie sich umfassend informieren, bevor sie ein Urteil fällen, und zweitens, indem sie handeln, wenn sie voreingenommenes oder diskriminierendes Verhalten beobachten.
Wie geht es nun weiter?
Nebst den Workshops haben wir 2023 unseren Rekrutierungsprozess auf den Einfluss von Unconscious Bias analysiert mit dem Ziel, die Chancengerechtigkeit zu erhöhen und viele Talente anzusprechen. Mit dieser Massnahme möchten wir einerseits die Werte der SRG im Bewerbungsprozess abbilden und andererseits Rekrutierungsverantwortliche darin unterstützen, die Fähigkeiten, das Potenzial und die kulturelle Passung einer Kandidatin oder eines Kandidaten möglichst unvoreingenommen zu beurteilen. Nun prüfen wir, wie sich die gewonnenen Erkenntnisse umsetzen lassen. Das Weiterbildungsangebot zu Unconscious Bias werden wir auch 2024 weiterführen.
Massnahmen der regionalen Fachstellen
Die SRG will die Vielfalt der Schweizer Bevölkerung im Unternehmen und in ihrem publizistischen Angebot abbilden und ihren Mitarbeiter:innen ein diskriminierungsfreies, gleichberechtigtes Zusammenarbeiten ermöglichen. Die regionalen Fachstellen für Diversität und Inklusion sind dafür zuständig, die national beschlossenen Massnahmen weiterzuentwickeln und in ihrer Unternehmenseinheit umzusetzen.
Mit Kompetenz-Mapping angehende Führungspersonen evaluieren
2023 startete RSI auf Initiative des Radiosenders Rete Uno ein Pilotprojekt mit dem Titel «Mappatura delle Competenze» («Kompetenz-Mapping»). Das Ziel des Pilotprojekts bei Rete Uno war, das Wachstumspotenzial und die individuellen Weiterentwicklungsbedürfnisse der Mitarbeiter:innen zu evaluieren. Insbesondere ging es darum, Mitarbeiter:innen mit Führungspotenzial zu identifizieren, die Interesse haben, sich intern weiterzuentwickeln. 36 Personen, davon 22 Frauen und 14 Männer, nahmen am Projekt teil. Die Auswertung ergab, dass die Teilnehmer:innen wenig Motivation verspürten, vertikal in eine Führungsposition aufzusteigen. Hingegen waren sie daran interessiert, sich horizontal weiterzuentwickeln, also fachlich zu spezialisieren. Darüber hinaus stellte RSI fest, dass sowohl Rete Uno als auch Rete Tre im Bereich Leadership Potenzial haben, Frauen gezielter zu fördern. RSI hat deshalb beschlossen, einen wesentlichen Teil des 2024 anlaufenden Mentoring-Programms den Mitarbeiterinnen von Rete Uno und Rete Tre zu widmen. Das Kompetenz-Mapping zeigte zudem, dass die erfahreneren Mitarbeiter:innen gerne bereit sind, die Mentor:innen-Rolle für Mitarbeiter:innen mit weniger Erfahrung zu übernehmen.
Menschen mit Beeinträchtigungen auf Augenhöhe begegnen
Vom 23. Januar bis 5. Februar 2023 standen bei RTR Menschen mit einer Beeinträchtigung im Fokus. RTR ging es darum, Menschen mit Beeinträchtigungen auf Augenhöhe zu begegnen und ihre Geschichten authentisch und unverfälscht zu erzählen. RTR produzierte gemeinsam mit den betroffenen Menschen die Webserie «Mia vita, mes mintgadi – viver cun impediment» («Mein Leben, mein Alltag – leben mit einer Beeinträchtigung»). Die Serie umfasste Porträts, Live-Berichterstattung aus mehreren Werkstätten sowie eine 24-Stunden-Reportage aus der Argo Graubünden, einer Stiftung für Menschen mit Beeinträchtigung. Valentin Schmed, Programmleiter bei RTR: «In der Schweiz leben gemäss Statistik rund 1,7 Millionen Menschen mit einer Beeinträchtigung. Sie sind Teil unserer Gesellschaft und sollen auch in den RTR-Programmen einen Platz erhalten. Wir wollen nicht nur über sie, sondern mit ihnen sprechen, um zu sehen und zu hören, wie sie ihren Alltag bewältigen.»
Sergio Guetg und sein Co-Moderator Michael Janjöri (Bild: RTR)
Angebote zur Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben bekannt machen
Die Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben ist einer der Schlüssel zu mehr Chancengleichheit und ein Schwerpunktthema der Diversitäts- und Inklusionsstrategie von RTS. Deshalb erstellte RTS 2023 einen praxisnahen Ratgeber, der Mitarbeiter:innen dabei hilft, sich mit den verschiedenen internen Work-Life-Balance-Angeboten vertraut zu machen und diese besser zu nutzen. Der Ratgeber beinhaltet die Themen Zeitmanagement, Finanzen, Arbeitsort, persönliche Entwicklung, emotionale Begleitung und individuelle organisatorische Unterstützung. Im Ratgeber steht beispielsweise, dass Mitarbeiter:innen für die Betreuung ihrer Kinder oder für die Pflege ihrer Angehörigen finanzielle Unterstützung bekommen. Oder auch, dass Mitarbeiter:innen Sozialberatung in Anspruch nehmen dürfen.
Mitarbeiter:innen schätzen die internen Vertrauenspersonen
Die SRG verfügt im gesamten Unternehmen über interne Vertrauenspersonen. Mitarbeiter:innen, die sich in ihrer persönlichen Integrität verletzt fühlen, können sich an diese Vertrauenspersonen wenden – auf vertraulicher Basis und ohne Angst vor Sanktionen. Die sechs internen Vertrauenspersonen von SRF haben gegen Ende 2022 ihre Beratungstätigkeit aufgenommen. 2023 hat sich gezeigt, dass die SRF-Mitarbeiter:innen das niederschwellige Beratungsangebot schätzen und auch nutzen und dass die Vertrauenspersonen ein wichtiger Bestandteil des Beratungsangebots von SRF zum Schutz der persönlichen Integrität sind. Die Fachstelle Diversität SRF ist nun daran, die Nutzung des Beratungsangebots zu analysieren, um bei Bedarf weitere Massnahmen für ein diskriminierungsfreies Arbeitsumfeld zu ergreifen.
Auszeichnung für den konsequenten Einsatz einer inklusiven Sprache
Seit 2022 setzt SWI swissinfo.ch konsequent auf eine inklusive Sprache. Diese beinhaltet nicht nur eine ausgewogene Repräsentation der Geschlechter, sondern berücksichtigt auch unterschiedliche Dialekte, Kulturen und Sitten. Medien, die auf eine inklusive Sprache setzen, helfen zu verhindern, dass Bevölkerungsgruppen unterrepräsentiert, stigmatisiert oder ausgegrenzt werden. SWI swissinfo.ch untersucht regelmässig, ob die eigenen Texte inklusiv geschrieben und ob die Geschlechter in den Texten und Fotos ausgewogen repräsentiert sind. SWI swissinfo.ch orientiert sich dabei am «50:50 Equality Project» der BBC, das im Jahr 2017 lanciert wurde. Für die datenbasierte Förderung der inklusiven Sprache zeichnete die International Broadcasting Convention SWI swissinfo.ch im September 2023 mit dem «Social Impact Award» aus.
«Diese Auszeichnung ist eine Anerkennung für die lange und harte Arbeit, die unser Team in dieses Projekt gesteckt hat.»
Arbeit an einer barrierefreien Zukunft
An den SRG-Hackdays 2023 gewann das Team von SWISS TXT mit seinem App-Prototyp «Donate a Sign» den ersten Preis (siehe auch «Donate a Sign» – eine App für Gebärdensprache»). Über die App können sich Nutzer:innen beim Gebärden verschiedener Phrasen, Namen und Wörter filmen und ihre Videos danach in die App hochladen. Die Videos in Gebärdensprache helfen, den bestehenden Gebärdensprachdatensatz zu erweitern – ein wichtiger Schritt in Richtung Barrierefreiheit und Inklusion von gehörlosen Menschen. Durch die grössere Datenvielfalt wird die Genauigkeit und Beständigkeit von KI-Modellen, die für die Erkennung und Übersetzung von Gebärdensprache notwendig ist, verbessert.
«Mit Donate a Sign machen wir einen Schritt in die barrierefreie Zukunft – eine Zukunft, in der Inklusion im Fokus steht.»